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Die Struktur des vedischen Universums

 Dieser Traktat wurde von einem Schüler von Swami Vishnudevananda Giri verfasst.


Einführung

 

Versuche zur Beschreibung irgendeiner Form an Komplexität sind in der Regel nie allumfassend. Gerade hinsichtlich der Beschreibbarkeit des Kosmos wird dies deutlich: eine nahezu unendliche Vielfalt an Möglichkeiten und damit eine maximale Komplexität ist nur vereinfacht und in ihrer Ausprägungsvielfalt reduziert beschreibbar.

 

Modelle versuchen, ein Verständnis für die verschiedenen Aspekte des Ganzen zu erzeugen und dabei das Gesamtsystem aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Sie sind immer abhängig vom kulturellen Hintergrund desjenigen, der ein Modell ausformuliert, insbesondere natürlich von den jeweils gebräuchlichen Begriffen, Allegorien, Parabeln, Bildern und Beispielen. Und Modelle entwickeln sich. Jede Generation an Denkern, die mit den Modellen der Vor-Generationen aufgewachsen ist, kann diese als Grundlage dafür nehmen, darüber hainauszuwachsen. Daher werden Modelle mit der Zeit komplexer und nähern sich zunehmend dem zu beschreibenden Ganzen an.

 

Auch die Aussagen zum Universum in den indischen Shastren folgen diesen Grundsätzen: Sie sind jedoch nicht doktrinär. Deswegen finden sich mehrere Sichtweisen bereits in den Shrutis der Veden. Natürlich gibt es unterschiedliche Akzente zwischen den Traditionen. Deswegen existieren auf Ebene der Smritis derartige Beschreibungen mehrfach und parallel. Es lässt sich feststellen: Je tiefer und komplexer die philosophische Sichtweise, desto ausgebauter ist auch die Kosmologie und desto mehr entfernt sie sich von der reinen Beschreibung äußerer Verhältnisse. Entscheidend für das Verständnis der Struktur des Universums ist die Zuweisung von Realität. Nur wenn man seine jeweilige Betrachtungsebene genau kennt, kann man die Strukturen und ihre Dynamik richtig einordnen.

 

Eine Struktur des Universums kann sich nicht auf eine statische Beschreibung beschränken. Mindestens genauso wichtig sind die dynamischen Prozesse im Universum. Eine statische Ist-Aufnahme gäbe nur Sinn, wenn das Universum unveränderlich und ohne innere Wechselbeziehungen existieren würde. Dies ist – sogar bereits äußerlich erkennbar – nicht der Fall. Daher wird im Folgenden auch die Beschreibung der dynamischen Organisation des Universums mit Fokus auf seine manifestierte Ebene untersucht:

- die Dynamik seiner Entstehung,

- die Physik seiner Aufrechterhaltung,

- die Logik seines Vergehens, aber auch des Verlassens der manifesten Ebene.
Diese Gesamtschau zieht sich auch durch die Kapitel X und XI der Bhagavad Gita.

Dabei ist herauszuarbeiten, auf welchen Prinzipien Struktur und Dynamik des Universums basieren, um dann abzuleiten, welche Implikationen sich für uns als Menschen daraus ergeben: Möglichkeiten, aber auch Notwendigkeiten, insbesondere unter dem Aspekt, wie sich das Verständnis der Zusammenhänge des Universums durch uns und für uns in unserer täglichen spirituellen Praxis nutzen lässt.

 

 

1.                  Modelle für die Entstehung des Universums und ihre Prinzipien

 

Als erstes ist die Kosmogonie zu untersuchen, vor allem auch dahingehend, welchen Konsens es darauf basierend für die Beschreibung des Universums in den Shastren gibt und welche Prinzipien sich daraus ableiten lassen.

 

1.1.            Die Frage der Entstehung aus dem Nichts

 

Auch in den vedischen Shastren dreht sich die Diskussion (wie in vielen anderen philosophischen Systemen) anfänglich um die Frage des Ursprungs, insbesondere der Untersuchung, ob ex nihilo vorstellbar ist. Nicht wirklich in Betracht gezogen wird ein phänomenaler Eternalismus auf Ebene des Manifesten.

 

Die Entstehung aus dem Nichts wird in den Veden nie bejaht. Das kann in Form einer dogmatischen Verneinung erfolgen, in Gegenüberstellung von Sat und Asat, auch in Abgrenzung von einigen buddhistischen Denkweisen:

„Da sagen nun einige: `Nur das Nichtseiende war hier zu Anbeginn, das Nichtseiende allein, ohne ein zweites. Aus diesem Nichtseienden entstand das Seiende.` Wie könnte das wohl sein? … Wie könnte aus dem Nichtseienden das Seiende entstehen? Das Seiende also nur war hier zu Anbeginn, das Seiende allein, ohne ein zweites.“

Chandogya-Upanishad, VI (Shvetaketu-Unterrichtung), 2, 1-2

 

Komplexer und tiefer wird jedoch auch untersucht, ob eine derart scharfe Abgrenzung überhaupt Sinn macht, zusammengeführt mit der Frage, was ontologisch überhaupt den Status von Sat und Asat hat.

Weder Nichtsein noch Sein war damals …

Am Anfang war Finsternis in Finsternis verborgen…“

Rigveda 10.129 (Nasadiya Sukta)

 

Diese Frage wird genauer in Kapitel 2.1. behandelt.

 

1.2.            Die Frage nach dem Ursprung

 

Ex nihilo wird also verneint. Danach stellt sich jedoch die Frage des Ursprungs noch deutlicher:

Wer ist der Gott, dem wir … dienen sollen?

Rigveda 10.121 (Hiranyagarbha Sukta)

 

Bereits hier wird deutlich, dass der Schöpfer selbst nicht als prima causa verstanden wird, sondern ein entstandenes Wesen ist:

Geboren ward er, der alleinige Herr der Schöpfung.“

Rigveda 10.121 (Hiranyagarbha Sukta)

 

Die Skepsis, mit den Möglichkeiten des Verstandes bis zur prima causa vorzudringen, schwingt mit:

Wer weiß es gewiss, wer kann es hier verkünden, woher sie entstanden, woher diese Schöpfung kam? Die Götter kamen erst nachher durch die Schöpfung dieser Welt. Wer weiß es dann, woraus sie sich entwickelt hat? Woraus diese Schöpfung sich entwickelt hat, ob er sie gemacht hat oder nicht - der der Aufseher dieser Welt im höchsten Himmel ist, der allein weiß es, es sei denn, dass auch er es nicht weiß.“

Rigveda 10.129 (Nasadiya Sukta)

 

Die Shrutis sehen die Ausgangslage weder nihilistisch noch eternalistisch, sondern von Anfang an komplex, sogar schon paradox:

Nicht war diese Welt am Anfang nicht; nicht war sie. Diese Welt war am Anfang und sie war nicht.“

Yajurveda X, 5, 3 (Shatapatha Brahmana)

 

Von Anfang an werden die ontologischen Kategorien dabei sauber zwischen Geist und Materie getrennt:

„Es war nur der Geist (manas), der existierte.“

Yajurveda X, 5, 3 (Shatapatha Brahmana)

 

Dieser Gedanke des ursprünglichen Samkhya-Darshana kommt auch im Mahabharata, vor allem im Teilstück Moksha Dharma und in anderen Schriften zum Ausdruck, die Reihung der Tattvas beginnt mit Mahat oder – wie hier – mit Manas (und noch nicht, wie im späteren, vollentwickelten Samkhya, mit dem Purusha als dem originären geistigen Prinzip).

 

Eine Vertiefung der ontologischen Ebene beschreibt eine andere Upanishad. Zunächst kommt der Gedanke der Entstehung der Schöpfung aus dem Atman auf:

Am Anfang war hier nur das Selbst (atma), es war wie ein Mensch. Es blickte um sich und sah nichts als sich selbst.“

Brihad-Aranyaka, I, 4, 1

 

Dieser Gedanke wird schließlich universell erweitert in das Mahavakya aham brahma asmi:

Nur das Brahman war hier am Anfang. Dies kannte nur sich selbst: Ich bin Brahman. Darum wurde es zur ganzen Welt.“

Brihad-Aranyaka, I, 4, 9

 

1.3.            Die grundlegenden Prinzipien der Entstehung des Universums

 

Alle weiteren Schöpfungsbeschreibungen basieren auf dieser Kernaussage des Vedanta-Darshanas und folgen drei Prinzipien:

- dem Primat des Geistes, des Subtilen vor dem Manifesten,

- der Schöpfungsabfolge als Emanation, ausgehend vom Brahman als prima
                causa non causata,

- dem Zusammenwirken des männlichen Impulses und der weiblichen
                Hervorbringung als Grundlage für den Übergang der Ebene des Geistes in die
                Ebene des Manifesten.

Bei letztgenanntem Prinzip, also der dualistischen Dynamik zwischen männlichem und weiblichem Prinzip, zwischen Purusha und Prakriti, gelten natürlich auch die beiden ersten oben genannten Prinzipien:

- Das geistige Prinzip (Purusha) geht dem manifesten Prinzip (Prakriti) voran.

- Der Übergang zwischen beiden erfolgt als Emanation der Hervorbringung
                 von Prakriti aus Purusha.

„Es ließ sich in zwei Teile zerfallen. So entstanden Gatte und Gattin.“

Brihad-Aranyaka, I, 4, 3

Analog gilt dieses Prinzip auch auf Ebene der reinen Tattvas, zwischen den beiden ersten Prinzipien, dem Shiva- und dem Shakti-Tattva.

 

Die Vertiefung der Darstellung der Schöpfungsemanation kann gut in der Entwicklung der Kaskade der Tattvas verfolgt werden:

- Einige Brahmanas und das Proto-Samkhya im Mahabharata beginnen noch
                mit Mahat oder Manas.

- Das entwickelte, klassische Samkhya-Darshana stellt das Prinzip, also das
                Tattva Purusha an die Spitze der Emanationskette.

- Endgültig vertieft und ausgebaut sind dann die 36 Tattvas des kashmirischen
                Shivaismus, die vom Brahman als erstem, dem Shiva-Tattva, ausgehen.

 

Das Grundgesetz der Schöpfung und damit der gesamten Kosmologie ist damit die Herrschaft des Geistes über das Manifeste, des Subtilen über das Grobe, im Extrem: des Nichts über das Materielle – aber immer nur wirksam werdend im Zusammenspiel beider Prinzipien.

 

Die Beschreibung des manifestierten Universums (vgl. Kapital 4) erfolgt vor allem durch die Puranas (u.a. Bhagavata Purana, Shiva Purana, Vayu Purana). Alle diese Smritis beschreiben den Emanations-bzw. Schöpfungsprozess sowie das dadurch entstandene Universum gemäß dem vorgenannten Grundsatz sehr ähnlich, wobei sie den Fokus entsprechend ihrer jeweiligen Tradition auf die Rolle ihres jeweiligen Ishta Devatas legen.

 

 

2.                  Der Begriff der Wirklichkeit im vedischen Kosmos

 

Um kosmische Strukturen und ihre Dynamik einordnen zu können, muss man zunächst versuchen, sich einen Begriff zu machen, was man als Realität ansieht und unter welchen Bedingungen.

 

2.1. Sat und Asat

 

Zunächst stellt sich die Frage nach den ontologischen Kategorien für Sein und Nichtsein, Sat und Asat. Die vedische Philosophie definiert sie gegensätzlich zum aktuell dominierenden europäischen Denken. Dabei ist das Sein auch in den abrahamitischen Religionen eine theozentrische ontologische Kategorie:

„Ich bin der Ich bin.“

Exodus, 3.14

 

In Europa verschob sich im Laufe zweier Jahrtausende der Realitätsbegriff jedoch herab aus der Ebene der Transzendenz als letzte Realität zur positivistischen Annahme, Realität sei das subjektiv mit dem eigenen Verstand überprüfbar Wahrgenommene:

„Ego cogito, ergo sum“

René Descartes, „Principia Philosophiae“

 

Der indische Begriff des Seins als ontologische Kategorie für die Realität ist Sat. Sat ist die Ebene der Transzendenz. Prüfkriterien für Sat sind Unveränderlichkeit und Unvergänglichkeit. Real ist nur das, was immer so bleibt, wie es ist. Alles andere ist asat, unwirklich, und unterliegt der Zyklik des Samsara. Unter vedischen Kriterien beschreibt Descartes nur das Zusammenspiel der Tattvas Ahamkara („Ego“) und Manas („Cogito“) und zieht einen Fehlschluss, denn sein „ergo sum“ kann nur die manifesten 20 Tattvas (Jnanendriyas, Karmendriyas, Tanmatras und Mahabhutas) erfassen.

 

Alle weiteren Sichtweisen basieren letztlich auf dieser Unterscheidung (Viveka). Asat entspringt aus Sat und wird von Sat durchdrungen – aber Sat bleibt bestehen, unberührt von Asat. Dies bringt aus Krishna klar zum Ausdruck:

„Die ganze Welt ist erfüllt von Mir in Meinem nichtmanifestierten Aspekt; alle Wesen existieren in mir, Ich jedoch bin nicht in Ihnen.“

Bhagavad-Gita, IX., 4.

Diese Sichtweise mündet in die beiden Attributen nirguna und saguna für das Brahman. Ursprünglich ist Brahman im Nirguna-Zustand. Während er das Universum emaniert, bleibt das Brahman in der Welt im Saguna-Zustand, bleibt aber dort als Ishvara von den Gunas so unberührt wie zuvor, ist lediglich Beobachter der Lilas dort.

 

2.2.            Shrishti-Drishti-Vada

 

Der Shrishti-Drishti-Ansatz beschreibt eine allmähliche Schöpfung und weist der geschaffenen Welt eine objektive Wirklichkeit zu. Er ist also eine Kombination aus dem in Kapital 1.2. beschriebenen Emanationsansatz und dem positivistischen Denken à la Descartes, das dem indischen Denken genauso wenig fremd ist wie dem europäischen und das vor allem den Beschreibungen des Makrokosmos der Puranas zugrunde liegt.

 

Im Grunde beschränkt sich dieser Ansatz darauf, das Spiel (Lila) der Gunas auf der Ebene der Prakriti und der anschließenden Devolution der niederen Tattvas zu beschreiben.

 

Unter dem Gesichtspunkt der in Kapitel 2.1. beschriebenen Unterscheidung gehört das Shrishti-Drishti-Universum zur ontologischen Kategorie Asat.

 

2.3.            Drishti-Shrishti-Vada und Vijnana-Vada

 

Die Sichtweise des Drishti-Shrishti-Vada führt die Welt der Phänomene auf ihr Erscheinen, also ihre Wahrnehmung im Geist des Beobachters zurück.

 

Auf den ersten Blick ist dies aus physikalischer Perspektive heraus plausibel. Das Gedankenexperiment mit Schrödingers Katze (eine Katze in einer Kiste mit einer Versuchsanordnung, die ihr eine 50:50-Chance zuweist, tot oder lebendig zu sein, was man aber nur feststellen kann, indem man als Beobachter die Kiste öffnet – dann ist die Katze entweder 100% lebendig oder 100% tot) verbindet das Schaffen von Realität mit der eigenen Wahrnehmung.

 

Aus Sicht der Prinzipien des vedischen Universums, die in 1.2. und 2.1. beschrieben sind (Emanation aus dem Absoluten / Absolutes als Sat), fällt diese Überlegung jedoch in die Kategorie Asat, da sie lediglich einen phänomenalen Subjektivismus beschreibt. Die Quelle der Realität wäre nach dieser Sichtweise nicht das Absolute, sondern lediglich die Wahrnehmungsfähigkeit, die Erkenntnisfähigkeit, letztlich der Verstand des Beobachters, also die Ebene des Antahkaranas.

 

Die Phänomene kämen ausschließlich aus dem eigenen Traum des eigenen Denkens des Egos, nicht aus dem Traum des göttlichen Schöpfers. Deswegen erfolgte die Weiterentwicklung dieser Sichtweise auch eher durch die buddhistische Philosophie, die das Ishvara-Tattva in ihre Denkmodelle nicht integriert hat.

 

Das Vijnana-Vada entspricht einem absoluten Idealismus, (altgriechisch: „Idea“ als Urbild, das dann vergegenständlicht), der keine Objektivität mehr kennt. Schopenhauer fasst dies so zusammen:

„Die Welt ist für mich Vorstellung“

Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, 1.Buch, 1.Betrachtung, 1

 

Die Mahayana-Denkrichtungen des Cittamatra und Yogacara haben ebenfalls diese Sicht. Das Problem ist jeweils der reine Subjektivismus, der versucht, den eigenen Traum an die Stelle des Traumes des Absoluten zu setzen, ohne sich vorher mit dem Absoluten so verbunden zu haben, um diese Einheit legitim behaupten zu dürfen.

Das Vedanta wendet sich, genau wie schon Platon, gegen diese Sichtweise. Für Platon ist die Welt der Ideen keine subjektive Welt des Egos, sondern eine Welt, die ihre Wirklichkeit in sich hat, weil sie ihr Dasein aus dem Absoluten bezieht. Auch Badarayana sieht den subjektiven Ego-Verstand nicht als Quelle des wahrgenommenen Universums an, weil dieser nur augenblicklich, also vergänglich ist.

 

2.4.            Ajata-Vada

 

Die Ajata-Sichtweise des Advaita-Vedanta auf die Welt geht von der Nichtexistenz (a = nicht/ohne, jata = Erschaffung/Geburt) eines Schöpfungsprozesses aus. Das phänomenale Universum ist in dieser Denkweise eine nicht intentionale Erscheinung im ursprünglichen Selbst (Atman), damit im Absoluten (Brahman). Sie ist daher vom Sein (Sat) des Absoluten nicht zu trennen, daraus bezieht sie ihre Wirklichkeit. Damit hat die Erscheinungswelt Traumcharakter, allerdings hier keinen subjektivistischen, sondern wird immer zurückgeführt auf den Traum des göttlichen Schöpfers (Ishvara).

 

Die Sichtweise des Ajata-Vada hat damit eine große Schnittmenge zum Drishti-Shrishti-Vada: Auch hier ist die Welt ein Produkt des Geistes – aber eben nicht der subjektive Geist jedes beliebigen Wesens, sondern der Geist Brahmas.

 

Diese Sichtweise hat ihre Entsprechung in der theoretischen Physik des Hologramms, auch wenn diese bislang nur den Zustand der Erscheinungswelt so zu beschreiben versucht, aber die Frage nach der Quelle offenlässt.

 

2.5.            Die Sichtweisen der Wirklichkeit nach Shankara

 

Sri Shankaracarya unterscheidet zwischen drei Sichtweisen auf die Wirklichkeit:

- Paramarthika: die absolute Sicht – Wirklichkeit hat nur das absolute Sat

- Vyavaharika: die empirische Sicht – Asat hat eine relative Wirklichkeit

- Prathibhasika: die Täuschung und Verwechslung der Sichten (Seil/Schlange)

 

Für die weitere Untersuchung von Struktur und Organisation muss grundsätzlich die empirische Sichtweise des Vyavaharika zugrunde gelegt werden. Nur dann ist ein Universum zu akzeptieren, in dem es Ishvara und Jivas und Lilas geben kann.

 

 

3.                  Die Dynamik des Kosmos

 

Ausgehend von der Diskussion des Begriffes der Realität in Kapitel 2 erfolgt nun die weitere Beschreibung der kosmischen Dynamik und Physik der relativen Wirklichkeit. Wie in Kapitel 1.3 außerdem bereits gesagt, folgt der vedische Kosmos dem Grundgesetz vom Primat des leeren Geistes über das Manifeste. Von diesem Prinzip aus ist die in den Shastren beschriebene Dynamik des so organisierten Kosmos zu verstehen.

 

3.1.            Teilchen und Schwingung als Grundmuster des Universums

 

Auch in der relativen Welt der Erscheinungen stehen die moderne wie die vedische Physik vor demselben Phänomen: Je subtiler man beobachten kann, desto mehr fehlt es an dauerhafter Eindeutigkeit. Man muss dazu gar nicht die Quantenwelt betrachten, dies zeigt sich schon auf atomarer und molekularer Ebene. Das Doppelspaltexperiment zeigte, das Elementarteilchen, auch das Licht, eben doch nicht durchgängig einfach eindeutige Teilchen sind, sondern grundsätzlich auch Wellencharakter haben.

 

Diese Doppelnatur wird auch im indischen Universum gut beschrieben:

 

Das Vaisheshika-Darshana betrachtet die atomare und subatomare Ebene unter der Perspektive der Existenz von Teilchen als materiellen Grundbausteinen.

 

Die Betrachtungsweise als Teilchen findet sich auch im Konzept der linearen Zeit wieder. Dort ist Zeit kein Kontinuum, sondern eine Abfolge von Momenten. Physikalisch wird dies manchmal als Zeitquanten ausgedrückt.

 

In anderen Sichtweisen stellt Schwingung die Grunddynamik des Universums dar.

- Im Vedanta wird dieses Prinzip vedischer Physik im Pranava OM subsumiert.

- Der kashmirische Shivaismus formuliert diese Dynamik als Spanda.

Beide erscheinen aus dem leeren Bewusstsein des Absoluten und organisieren so aus dieser Leerheit heraus die Dynamik das Universum.

 

3.2.            Leerheit und Polarität als Gestaltungsprinzipien des Universums

 

Versteht man Leerheit nicht nihilistisch, sondern entsprechend der von Nagarjuna u.a. aufgestellten Madhyamaka-Grundsätzen (die zwar nicht direkt aus der vedischen Tradition stammen, aber letztlich auf ihr basieren, sie weiterentwickelt haben und später über Gaudapada wieder mit der vedischen Philosophieentwicklung zusammenlaufen), dann ist die Leerheit zunächst einmal Freiheit: Sie ist frei von Festlegungen. Damit entspricht sie einem Potenzial unendlicher Möglichkeiten für die Struktur und Organisation des Universums.

 

Bereits das Vaisheshika-Darshana gilt als atomistische Lehre. Zur Physik der Moderne gib es einige Überschneidungen. Beide suchen nach dem Paramanu, dem definitiv kleinsten subatomaren Teilchen. Ob das Quanten sind, oder – wie inzwischen angenommen wird – noch subtilere Teilchen, ist an dieser Stelle nicht relevant. In einem Punkt suchen die Physik und Vaisheshika jedoch dasselbe: Vaisheshika verlangt von einem Teilchen als Eigenschaft Vishesha, es soll sich also von anderen unterscheiden, und zwar durch seine Inhärenz (Nsamavaya).

 

Die Frage ist also, warum ein Quant Teil eines Goldatoms geworden ist, das andere zu Wasser? Das steuernde Narrativ sucht die Physik unter anderem im Higgs-Boson, die vedische Kosmologie in den Impulsen des Purusha an die Prakriti oder im Traum Brahmas (und aller von ihm eingesetzten Mitschöpfer), also letztlich ihrem Willen (Sankalpa), in dem der Rahmen der Ausgestaltung des manifesten Universums determiniert wird.

 

Beides zeigt: Das Manifeste im Kosmos ist veränderbar. Dies hat Konsequenzen auf den individuellen Mikrokosmos des einzelnen Wesens, auf die in Kapitel 5 eingegangen wird.

 

Leerheit bzw. das Fehlen klarer materieller Strukturen ist das Gestaltungsprinzip des physikalischen wie des vedischen Kosmos. Materie ist nicht ein Proton mit Elektronen darum herum und ein paar Neutronen, also die Ansammlung von Materieteilchen zu Materieklumpen. Nein, es ist im Wesentlichen Leerheit, die mit Energiezuständen aufgeladen ist. Nur diese Energiezustände führen zum Eindruck der Festigkeit und Kompaktheit von Materie. Tatsächlich ist die Materie genauso wie der Kosmos ein leerer Raum (Akasha), in dem energetische Prozesse (Gunas) wirken.

 

Weitergeführt leitet sich daraus die Kernaussage des Mahayana ab:

„Form und Leerheit sind eins, ohne Leerheit keine Form.“

Prajñāpāramitā Hṛdayasūtra

 

Daraus folgt eine banale mathematische Gleichung: 0 = + 1 – 1. Die Leerheit besitzt das Potenzial zum Hervorbringen von Polarität. Diese Polarität bezeichnet die Physik als positive und negative Ladung, als positive und negative Energie. Das anfängliche „Nichts“ der Null kann in beliebiger Vielfalt und Intensität expandieren, ohne das in der Addition sich etwas ändern würde, denn auch + 999.999.999.999.999
- 999.999.999.999.999 = 0.

 

Die vedische Sicht ist nicht unähnlich: Aus der uranfänglichen Leerheit entsteht durch die Impulse des Schöpfers, der sich selbst erfahren will, jede erdenkliche Art von Polarität. Die unendliche Potentialität der Leerheit entspricht einer unermesslichen Spannweite von Phänomenen, auch hier mit Polaritäten, einerseits um das Universum überhaupt in Gang zu halten, andererseits damit der Schöpfer sich selbst in seiner eigenen Unendlichkeit erfahren kann. Und wenn Menschen dazu neigen mögen, solche Polaritäten zu bewerten („positiv“ versus „negativ“, „plus“ versus „minus“), spielt das aus der Sicht des Schöpfers keine Rolle, von dort aus gesehen ist Polarität immer lediglich Vielfalt und wird der Schöpfer von seiner eigenen Schöpfung nicht berührt.

 

Dieser Effekt hat natürlich Einfluss auch auf die Sicht der Wesen aus dem Universum heraus auf ihren Schöpfer. Auch die christliche Theologie sagt (ausgehend von Pseudo-Dionysius), dass Gott entweder ohne Attribute (theologia negativa = nirguna) oder nur mit den allerverzerrtesten Begriffen benannt werden kann, das heißt über die komplette Bandbreite an Polarität im Saguna-Zustand.

 

Für den Schöpfer ist die Hervorbringung der Polaritäten Lila, für die Wesen im vedischen Universum bedeutet diese Energie die Entstehung von Karma.

 

3.3.            Energie- und Impulserhaltung: Karma, Vasanas und Samskaras

 

Ein Basisprinzip des Universums ist das Gesetz der Erhaltung von Energie (Materie wird hier als eine mögliche Form von Energie verstanden). Vereinfacht: Es geht nichts verloren. Auf kosmischer Ebene gilt dies selbst dann, wenn eine Galaxis ins schwarze Loch stürzt: Die Energie ist danach nur woanders. Das indische Modell eines zyklischen Universums mit Pralayas und dem Mahapralaya entspricht dem Sturz ins schwarze Loch und dem Kollabieren des Universums.

 

In all diesen Fällen geht die Energie als solche nicht verloren. Die Physik beschreibt das Ergebnis als die mit schier unermesslicher Energie geladener Singularität des Urknalls, die indische Kosmologie mit dem ruhenden, aber nur vorübergehenden Gleichgewicht der Gunas in der Nacht Brahmas. In beiden Fällen ist der Kosmos in diesem Moment undifferenzierte Potenz – aber energetisch ist alles noch da.

 

Dasselbe gilt hinsichtlich des Impulserhaltungssatzes. Die Physik greift hier auf die relativ einfache und linear für die Interaktion materieller Objekte gedachte Regel actio = reactio Newtons zurück.

 

Die indische Kosmologie verfügt in dieser Beziehung über ein komplexeres Beschreibungsmodell als es unsere westliche Vorstellung vom Universum ist, weil sie die Wesen des Kosmos mit einbezieht. Das Bild eines Impulses ist damit wesentlich umfänglicher und gleichzeitig subtiler zu sehen als in der klassischen Physik. Um dieses Gesetz auf die subtile Ebene, auf das Astrale zu übertragen, verwendet die indische Philosophie den Begriff des Karmas. Letztlich beschreibt Karma, dass jede Ursache eine Wirkung zeitigt, und dass jede Wirkung auf eine Ursache zurückgeht.

 

Vasana und Samskara sind in dieser erweiterten Sicht des Kosmos inklusive der Wesen die Umschreibungen für derartige Impulse, und zwar nicht nur auf der energetischen, sondern auch auf der subtileren astralen Ebene. Und genauso wie ein Impuls in klassischer Betrachtung sich zwar immer auswirken wird, jedoch durch weitere Impulse abgelenkt, verstärkt, abgeschwächt oder sogar ausgeglichen werden kann (Interferenzen), so gilt dies auch für die Interaktionen, die sich aus Vasanas und Samskaras ergeben. Im vedischen Universum ist Karma damit als ein hochkomplexer und mehrdimensionaler Zusammenhang von Impulsen zu sehen, der die dynamische Organisation der samsarischen Zyklik steuert, und der über Reinkarnation weit gespannte zeitliche Abstände von Ursache und Wirkung ermöglicht, sogar (energie- und impulserhaltend) zum Teil über die Pralayas hinaus.

 

Angesichts der Gültigkeit des Energie- und Impulserhaltungssatzes ist es eine Illusion, das Karma als Resultat dieser Impulse (Vasanas, Samkaras) einfach annulieren zu können, solange man selbst inmitten dieser Matrix in der relativen Wirklichkeit (Asat) steht. Dazu muss man den Standpunkt wechseln und dasselbe Vorgehen wählen, das der gesamten Kaskade der Emanation des Universums zugrunde liegt: Man kann Karma nur auslöschen, wenn man im Absoluten des Aham Brahmasi steht, also auf Ebene des Sat. Sat beherrscht Asat. Von dort aus ist es möglich, innerhalb derselben Ebene (von Asat zu Asat) nicht, da bleibt einem als Beeinflussungsmöglichkeit die genannte Schaffung einer Interferenz oder die Abschwächung der Energie der Impulse (Vasanas, Samkaras).

3.4.            Ishvara und die kosmische Entropie

 

Durch die unzähligen Interkationen unermesslich vieler Wesen entsteht nach und nach eine immer dichtere, komplexere Matrix. Da das Universum zur Kategorie Asat gehört, mag es zwar riesig erscheinen, ist aber endlich. Damit ist es als geschlossenes System zu betrachten. Die Physik postuliert für Systeme, in denen Verdichtung stattfindet eine Zunahme der Entropie. Solche Systeme werden, vereinfacht ausgedrückt, chaotisch und destruktiv. Dieser Prozess wird hinsichtlich des vedischen Universums über die Qualität der Zeit, der Yuga zum Ausdruck gebracht (vgl. Kap. 3.6.). Sattva als Qualität der Ordnung nimmt ständig ab, Rajas und Tamas nehmen zu, bis die Verdichtung extrem wird.

 

Systeme, in denen die Entropie zunehmt, drohen zu kollabieren, wenn kein Eingriff von außen erfolgt. Dies ist an einem einfachen Beispiel zu sehen, dem Kinderzimmer. Je mehr Kinder dort spielen und je länger sie dort ungestört agieren, desto mehr Durcheinander entsteht im Kinderzimmer, solange bis die Mutter kommt, das Spielen einstellt und aufräumt. Diese Funktion als Ordnungsmacht hat im vedischen Universum Vishnu als diejenige Form von Ishvara, welche die strukturierende Qualität Sattva verkörpert.

„Immer dann, wenn Rechtschaffenheit verfällt, oh Arjuna, und Sündhaftigkeit wächst, manifestiere Ich mich. Um die Guten zu schützen, die Bösen zu vernichten und Rechtschaffenheit zu erreichten, werde Ich in jedem Zeitalter geboren.“

Bhagavad-Gita, IV, 7.-8.

 

3.5.            Die Zyklik des Kosmos

 

Die im Kapitel 1 genannten Sichtweisen unterstellen explizit oder implizit einen Anfang. Dies ist jedoch nur der Notwendigkeit einer verständlichen Beschreibung geschuldet, um die Logik der Emanation der Schöpfung zu verstehen. Tatsächlich gehen alle Shastren von einer Zyklik aus, einer Endlichkeit der einzelnen Schöpfung innerhalb der zeitlosen Unendlichkeit des originären, aber (göttlichen) Seins.

 

„Es gab nie eine Zeit, da Ich nicht war, oder du, oder auch diese Herrscher, und in Wahrheit werden wir auch in Zukunft niemals aufhören zu sein.“

Bhagavad Gita, II. 12.

 

Zur Beschreibung greift man auf die Gunas des Samkhya-Darshanas zurück. Alles wird erschaffen, eine Zeit lang erhalten, um dann wieder aufgelöst zu werden. Die mit Hilfe des Systems der Gunas ausgedrückten Prozesse von Expansion, Bestehen und Zerstörung wiederholen sich in unendlicher Abfolge.

 

Diese Zyklik wird am Schöpfer, Brahma, festgemacht. Jeder seiner Tage endet mit einem auflösenden Pralaya und versetzt das manifest gewesene, veränderliche Universum zurück in den Zustand der undifferenzierten Potenzialität (Prakriti), dem perfekten Gleichgewicht der Gunas, in eine zeitweise Unveränderlichkeit. Mit jedem neuen Tag Brahmas (der mit 4.320.000 Erdenjahren definiert wird) beginnt dieser Prozess neu, bis er am Ende der 100 Jahre Brahmas in das abschließende Maha-Pralaya mündet. Aber auch dieses ist nicht das Ende der Zyklik. Universen gibt es zahllos viele und genauso Brahmas. Samasara selbst, als Prozess dieser Zyklik ist anfangs- und endlos. Dies wird jedoch nicht in einem eternalistischen Sinne beschrieben. Das Samsara als oberste strukturelle Ebene dieser Zyklik ist nicht eigenständig, sondern basiert immer auf dem Brahman als unabdingbarer Stütze, da es selbst nur asat ist, ohne eigenständige Existenz, um existent zu sein somit immer der Durchdringung mit dem Prinzip des Sat bedarf.

 

Die moderne Physik beschreibt diesen Prozess (auf der manifesten Ebene) ähnlich. Aus einer Singularität undifferenzierten Potenzials heraus entsteht das Universum (Urknall) und expandiert, besteht und kollabiert. Auch hier wird nicht (mehr) von einer Entstehung aus dem Nichts ausgegangen, sondern von einer atmenden Zyklik des Entstehens und Vergehens des Universums.

 

 

 

3.6.            Die Relativität der Zeit

 

In Kapitel 1.2. ist bereits die Zyklik des manifesten Universums beschrieben worden. Dieses Modell geht von einer Richtung der Zeit aus, die aus der Vergangenheit kommt, den Moment der Gegenwart herausbildet und in die Zukunft hinein verläuft.

 

Das Konzept einer Relativität dieser Art von Zeit und des sich damit in der Zeit bewegenden Raumes ist der Physik seit Einstein vertraut. Einstein postuliert einen Zusammenhang zwischen Energie, Materie, Geschwindigkeit und Zeit bzw. Raum.

 

Die indischen Shastren kennen diese Relativität schon länger. Als Beispiel kann der Tag und das Leben Brahmas gelten. Auch Brahma hat 100 Jahre vor sich. Wie gesagt: Ein Brahmatag sind 4.320.000 Erdenjahre. Vielen anderen Wesen werden ebenfalls (in Erdenjahren gerechnet) längere Lebensphasen zugeschrieben. Kriterium dafür ist ihre astrale und spirituelle Subtilität, ihre Nicht-Materialität. Jeder Teil des vedischen Universums unterliegt damit im Rahmen dieser Relativität der Zeit anderen Kategorien zur Bemessung der subjektiven sowie der vergleichsweisen Geschwindigkeit des Verstreichens der Zeit.

 

Die Schriften beantworten auch die Frage, wie in einem subtileren Teil des Universums (oder einem anderen Universum) die aus irdischer Sicht verlängerte Zeitspanne wahrgenommen wird: gar nicht. Sowohl Yoga Vasishtha als auch Tripura Rahasya beschreiben solche Zeitreisen von Erdenmenschen. In der Erzählung vom Universum im Hügel beispielsweise kommt der Mensch nach kurzer Dauer des dortigen Aufenthalts zurück in eine irdische Welt, in der inzwischen tausende Jahre verstrichen sind. Hatte er es während seiner Zeitreise? Nein, er hatte in der subtileren Welt das Empfinden von Tagen.

 

Der Unterschied liegt also nicht im Empfinden der Quantität an Zeit, sondern in ihrer Qualität – eine Dimension, die nur die vedische Kosmologie kennt.

 

Zwei Beispiele:

- Der Aufenthalt Mahasenas im Universum im Inneren des Berges beinhaltete eine Reise durch weit entfernte Räume (Sternenhimmel, Mond, Sonne, Himalaya, andere Lokas), was für ein normales, lineares menschliches Begriffsvermögen unvorstellbar ist. Die Menge und die Intensität an Eindrücken in dieser, im Universum im Berg sehr kurzen Zeit waren enorm.

 
               „Die Besichtigung hat nach den hier geltenden Zeitbegriffen nur einen Tag gedauert. In der Welt, aus der Du kommst, sind  indessen 12000 Jahre verflossen.“

       Tripura Rahasya, 12. Kapitel.

- Ähnlich verhält es sich mit meditierenden Yogis. Yoga Vasishtha erzählt Beispiele von Fällen, bei denen nach tausend(en) Jahren Versenkung die menschlichen Körper bereits zerstört oder sogar zu Staub zerfallen waren.  Auch hier war die Intensität im Bewusstsein durch den Effekt der Meditation eine ganz andere. Der Yogi existierte auf einer anderen Ebene, was zu dem Phänomen einer qualitativen Relativität von Zeit führte.

Auch die Relation der Einteilung der Zyklik des indischen Kosmos in Yugas folgt dem Prinzip der unterschiedlichen Qualität und Intensität von Zeit und Bewusstheit. Ein Maha-Yuga als irdisches Äquivalent für einen Tag Brahmas ist aufgeteilt in vier Yugas unterschiedlicher Zeit-Qualität: Satya, Treta, Dvapara und Kali. Im Satya-Yuga ist die Qualität des Bewusstseins am höchsten ausgeprägt (das Kriterium hierfür ist die Ausrichtung am Dharma), im Treta um 25% reduziert, im Dvapara halbiert und im Kali am geringsten. Die Dauer ist dementsprechend: Der Anteil des Satya-Yuga an einem Maha-Yuga-Zeitzyklus beträgt 40%, Treta 30%, Dvapara 20% und Kali 10%.

 

Zeit hat im indischen Universum also eine qualitative Bedeutung. Die höchste Qualität hat sie dann, wenn sie zum Stehen kommt. Die göttliche Sphäre des Universums wird deswegen als zeitlos beschrieben.

 

Damit ist klar: In der Physik des indischen Kosmos ist Zeit und ihre Qualität klar mit dem Bewusstsein des Wesens und seiner Qualität korreliert. Damit entfällt die Bremse des Einstein-Modells für die Relativität von Zeit: die Materie. Materie spielt bei der Korrelation von Zeit und Bewusstsein keine Rolle.

 

Dies führt zur Frage, welche Bedeutung Zeit im manifesten und vor allem im materiellen Universum hat, in dem es nur unterkomplex entwickeltes Bewusstsein gibt. Hier hilft die Zeit dem Bewusstsein bei der Wahrnehmung, indem sie die Ereignisse voneinander trennt und in eine chronologische Abfolge stellt. Warum? Das wird bei der Betrachtung des anderen Extrems deutlich. In der zeitlosen göttlichen Sphäre sind Ereignisse und ihre Abfolge beliebig, gleichzeitig, da das Bewusstsein über dieselbe Unermesslichkeit verfügt wie die Komplexität der Gleichzeitigkeit aller unendlichen Möglichkeiten. Im materiellen Universum müssen die Wesen sich mit der Chronologie behelfen. Diese Art der Relativität von Zeit bedeutet jedoch, dass sie nur einer scheinbaren Zeit ausgesetzt sind. Je nach Qualität des Bewusstseins nimmt die Rolle der Zeit und ihre Bindungskraft ab und nähert man sich der zeitlichen Beliebigkeit der zeitlosen Dimension an.

 

Diese qualitative Relativität von Zeit in Abhängigkeit von der Weite des Bewusstseins hat noch eine andere Konsequenz. Sie determiniert den Grad der Veränderlichkeit. Da, wie gesagt, Zeit Ereignisse ablaufen lässt, bedeutet dies, dass eine relativ schneller verstreichende Zeit zu einem höheren Grad an Veränderlichkeit führt, und umgekehrt, dass verlangsamte Zeit auch zu weniger Veränderung führt. Dies nähert sich der göttlichen Sphäre asymptotisch an und führt dort parallel zur Zeit- wie zur Veränderungslosigkeit. Das bedeutet, dass die oben erwähnte Gleichzeitigkeit aller denkbaren Ereignisse dort gleichzeitig auch die Statik der absoluten Unveränderlichkeit darstellt. 

 

 

3.7.            Die Multidimensionalität des Kosmos

 

Einen wichtigen Aspekt der vedischen Kosmologie wurde gerade im Kontext der Relativität von Zeit bereits angesprochen: die Multidimensionalität des Kosmos.

 

Die vorherrschende einfache Vorstellung eines Universums ist ein Konglomerat von Galaxien, die um ein paar schwarze Löcher oszillieren, mit unvorstellbar vielen Sonnensystemen, Planeten und anderen Objekten. Schon die komplexe Physik beschreibt dies jedoch anders. Vor allem die String-Theorie postuliert nicht nur ein vierdimensionales Universum (mit drei räumlichen Dimensionen und der Zeit), sondern einen mindestens neun-, besser aber multidimensionalen Kosmos. Außerdem wird zunehmend versucht, die sogenannte negative Energie zu beschreiben.

 

Aus vedischer Sicht kann diese Multidimensionalität in zwei Formen auftreten:

- Da die relative Wirklichkeit asat ist, unwirklich und ohne inhärentes eigenständiges Sein, ist sie bis zu einem gewissen Grad veränderbar.
        Man kann somit Realitätsverläufe, die potenziell parallel möglich sind, wechseln und dadurch aktuell werden lassen – sozusagen von einer Realität in eine andere gehen. Genaueres dazu in Kapitel 5.

- Der vedische Makrokosmos ist ebenfalls die Beschreibung von mehreren Dimensionen, nicht nur von materiellen Strukturen, sondern auch von astralen, den Lokas

 

 

4.              Der Makrokosmos als Struktur von Bewusstseinsebenen

 

Der vedische Begriff des Makrokosmos geht weit über die übliche europäische Auffassung eines Universums hinaus, die auf die materielle, zumindest auf beobachtbare bzw. messbare Phänomene beschränkt ist, während das indische Universum im Grund Bewusstseinszustände beschreibt, symbolisiert und verortet.

 

Die Shastren kennen mehrere Modelle, den Kosmos einzuteilen, 3, 8 oder 14 Welten. Dazu kommen noch Beschreibungen von Welten der göttlichen Sphäre, die abhängig von der jeweiligen Tradition sind.


4.1.            Der Begriff der Lokas

 

Der Begriff des Ortes (Loka) ist hier von einem klassischen dreidimensionalen Koordinatensystem völlig zu entkoppeln. Bei Lokas handelt es sich um sich überlagernde Dimensionen. Von Welten oder Orten zu reden, ist dafür ein hilfsweiser Ausdruck, da Sprache sich schwertut, Unbekanntes und Unbeobachtetes zu beschreiben. Wie schon bei der Zeit ist der Ort in der vedischen Kosmologie nicht so sehr ein quantitatives, sondern ein qualitatives Phänomen.

 

Das erste Kriterium für die Qualität des Ortes ist im Grunde dasselbe wie für die Qualität der Zeit: die Qualität des Bewusstseins. Die Lokas als Dimensionen der Orte korrelieren mit der Weite des Bewusstseins.

 

Anders als bei der Zeit gibt es jedoch für die Verortung eines Wesens im vedischen Universum noch ein zweites Kriterium: den Charakter des Bewusstseins. Um einen Ort zu erreichen, bedarf es in jeder Art von Universum eines Impulses. Das kann ein gegenständlicher Impuls sein, um sich in einer materiellen Dimension fortzubewegen (Auto, Flugzeug, Vimana etc.). In einem Universum, das auch astrale Dimensionen umfasst, ist dieser Impuls wesentlich umfassender. In Kapital 2.3. wurden bereits Karma und Reinkarnation als Ausformulierung von Impulsen (Vasanas und Samskaras) und ihrer Erhaltung erwähnt. Um eine astrale Dimension zu erreichen, muss der Impuls dazu dem Charakter dieser Dimension entsprechen. Der astrale Makrokosmos ist in „obere“ und „untere“ astrale Welten geteilt. Der Impuls, also das Vasana bzw. Samskara muss also nicht nur die entsprechende subtile Stärke haben (auch Asuras erreichen gemäß den Shastren durch Tapas gewaltige astrale Realisationen), sondern ein „Vorzeichen“ seiner mentalen Prägung: Entweder ist er orientiert am Ego und seinen Wünschen (weswegen die Asuras vor allem in den „unteren“ astralen Dimensionen präsent sind) oder an Gott und dessen Wünschen (bzw. dem Wohl aller Wesen), weswegen Gottsucher und göttliche Wesen zu den „oberen“ Dimensionen gelangen.

 

4.2.            3 Welten

 

Für das Modell der drei Welten (trailokya) gibt es zwei Unterscheidungen:

- nach ihrer Subtilität:
                physisch
                astral/mental
                kausal

- nach den sie bewohnenden Wesen, z.B. im Kontext Bhagavad Gita, I.35:
                Menschen
                Asuras
                Devas

 

Letztlich laufen beide Aufteilungen jedoch auf dasselbe hinaus: Es geht um die Zuordnung von Bewusstseinszuständen, nicht um geographische Verortungen. Diese vedische Aufteilung ist damit in etwa identisch mit der 3-Welten-Lehre der griechischen antiken Philosophie (Physis, Psyche und Logos).

 

4.3.            8 Welten

 

Die Einteilung in 8 Lokas entstammt dem Samkhya-Darshana:

 

Welt

Wesen

Brahmaloka

Welt Brahmas

Pitriloka

Welt der Mischöpfer: Prajapatis für die materielle Schöpfung, Rishis für die geistige Schöpfung

Somaloka

Welt der der Mondgottheit und der Grahas als Herrscher über die Psyche, v.a. über die Archetypen

Indraloka

Welt der samsarischen Devas

Gandharvaloka

Welt astraler Wesen unterhalb des Bewusstseinsniveaus von Devas

Rakshasaloka

Welt asurischer, dämonischer Astralwesen

Yakshaloka

Welt von Naturgeistern

Pishacaloka

Welt höllischer Geister und Dämonen

 

Auch hier handelt es sich um die Beschreibung von Bewusstseinszuständen. Das wird besonders dadurch deutlich, dass in diesen 8 Lokas die materielle Welt gar nicht enthalten ist.

 

4.4.            14 Welten

 

Auch die Einteilung der 14 Welten folgt gemäß dem Vayu-Purana (1.50 und 2.39) dem Prinzip der Zuordnung von Bewusstseinszuständen:

 

Name des Loka

Typ

Charakteristik bzw. Wesen

Brahma (Satya)

Krita/höhere

Welt Brahmas und der Tathagatas, des Pranava OM, reine Schwingung, in der Natur des Geistes mit Brahman eins

Tapa

Subtile geistige Welt der Kumaras und der gleich ihnen durch Tapas vollkommen gereinigten Siddhas

Jana

Welt der geistigen Söhne Brahmas

Mahar

Welt der Heiligen nach ihrer Mission in tieferen Sphären , Paradies

Svar

Himmel, Welt der samsarischen Devas

Buhvar

Luftraum, aber auch astrale Welt

Bhur

Erde, materielle Welt

Atala

Akrita/ niedere

schwarze Welt von Asuras, Rakshas und Nagas

Sutala

weiße Welt, ebenfalls Asuras, Rakshas, Nagas

Vitala

gelbe Welt, lebhaft und freudig, Asuras, Rakshas, Nagas

Gabhastala

Asuras, Rakshas, aber auch Vögel unter Garuda

Mahatala

sandige (trotzdem astrale) Welt, wieder Asuras, Rakshas, Nagas

Sritala

felsige (w.o.) Welt voller Freude, w.o., auch Kasyapas Sohn Vasuki

Patala

Welt voller Trubel, Reichtum und Freude;
unter ihr liegt Sesha als Fundament des Universums

 

Es sind nicht nur 14 Welten, die in diesem Bild vom goldenen Ei Hiranyagarbhas umschlossen werden, denn außerhalb dieser Aufteilung gibt es noch die in einigen Puranas unterschiedlich, aber immer drastisch skizzierten Höllenwelten.

 

Ein Unterschied zu einem rein materiellen Bild eines Universums ist auch, dass Dimensionen allein aus dem Kling der Silben entstehen können, die Brahma als ihr Schöpfer ausgesprochen hat:

„Als Brahma „Bhuh“ sprach, entstand der Bhurloka, als er „Bhuvah“ sprach, der Bhuvarloka, und als er „Swah“ sprach, der Swarloka. Durch diese drei Silben erschuf Brahma die drei Welten.“

„Als Brahma „Mahah“ sprach, entstand der Maharloka, …“

Vayu-Purana, Upasamhara Pada, Kapitel 39


Das entspricht dem in Kapitel 3.1. Gesagten zur Schwingung des Pranava als Grundbaustein des Kosmos. Diese vier Welten werden übrigens im Pralaya am Ende des Tages Brahmas zerstört (wobei die Wesen von Maharloka nach Janaloka aufsteigen), während die drei reingeistigen Welten (Janaloka, Tapaloka und Brahmaloka) verbleiben. Sie enden zwar ebenfalls im Mahapralaya, jedoch erlangen die Wesen von dort aus die Befreiung und die Einheit im Brahman.

 

Viele dieser Welten werden mit Unterdimensionen beschrieben. Am interessantesten erscheint die Differenzierung innerhalb von Brahmaloka. Hier ist von 20 Ebenen die Rede, von denen 16 Rupalokas noch formgebunden sind, die vier höchsten Arupalokas bereits nicht mehr. Dies unterstreicht die Verfeinerung der Dimensionen nach „oben“ im Sinne eines Schrittweisen Zurücklassen des Materiellen, letztlich überhaupt des Manifesten (Nama/Rupa).

 

Die unteren sieben Welten sind keine offensichtlich höllischen Welten. Nicht umsonst werden in anderen Puranas Heilige wie Bali Maharaj oder Formen von Shiva oder Vishnu dort beschrieben. Im Gegenteil: Vogelgesang, Lotusblüten, Seen, süße Düfte, schöne Musik.

„Von Narada wissen wir, dass die unteren Welten noch schöner sind, als der Himmel, … Alles ist hell und entzückend. Was könnte dem gleichen? … Und sogar befreite Seelen erfreuen sich an den Schönheiten der niederen Welten. … Es ist weder kalt noch heiß, nur die Juwelen verbreiten ihr angenehmes Licht. Wer dort lebt, genießt alle Arten von Essen und Getränken und vergisst schnell, wie die Zeit vergeht.“

Shiva-Purana, 10.15

 

Man fühlt sich an die Beschreibung reiner Länder erinnert. Was macht diese Welten nun zu „niederen“ Dimensionen? In Kapital 4.1. wurden zwei Kriterien für die Kompatibilität zu Dimensionen aufgestellt: zum einen die Weite des Bewusstseins, zum anderen dessen Orientierung – auf das Absolute oder auf das Ego. Das Kriterium der Weite des Bewusstseins wird im Shiva-Purana bestätigt:

„Durch Askese können die Dämonen wie auch die Heiligen diese schönen Welten erreichen.“

Shiva-Purana, 10.15

 

Ohne Tapas und seiner erweiternden Wirkung auf das Bewusstsein ist das Erreichen dieser astralen Schönheit nicht möglich. Typischer für diese Dimensionen erscheint jedoch das zweite Kriterium, die Orientierung Ego versus Gott. Diese Dimensionen repräsentieren eine Verdichtung des Egos. Ihre Freude ist Boga, nicht Ananda. Das ist genau das Gegenteil eines reinen Landes. Wer in diesen Dimensionen nach unten absinkt, meint zunächst, an Genuss und Reichtum sogar zu gewinnen, aber er bezahlt es mit einer ständigen Vergrößerung seines Egos, das am Ende nur noch aus Rajas und Tamas besteht, während die höheren Welten genau umgekehrt Rajas und Tamas hinter sich lassen und dort Sattva immer dominanter wird.

 

So wie die Höllenwelten unterhalb der 14 Lokas angesiedelt werden müssen, beschreibt das Vayu-Purana über den höheren Welten noch Manomaya als Stadt Shivas. Trotz der Namensgleichheit mit dem Kosha wird hier mit diesem Begriff etwas Anderes beschrieben, nämlich ein reines Land, eine geistige Welt, die jedoch erschaffen ist:

„Die Wohnstätte dieses ewigen Herrn ist unzerstörbar, beständig und vom weltlichen Chaos unberührt. Man kann sie als den achten jenseits der sieben Lokas betrachten. Es ist der höchste Loka und doch immer noch von Maya geschaffen.“

Vayu-Purana, 2.39

Damit gehört dieses Loka zur Struktur des Universums, anders als die göttlichen Spähren, die außerhalb des hier zu beschreibenden Universums und oberhalb des Maya-Tattva angesiedelt sind. Funktional wird dieses Loka als reines Land beschrieben:

„Zuflucht für jene ist, welche die Wiedergeburt fürchten.“

Vayu-Purana, 2.39

Die Wesen dort repräsentieren Hingabe an Shiva als Ishvara, sattvische Reinheit und finden ihre Freude im Paramatman im Inneren. Das sind auch die Voraussetzungen, um dieses reine Land erreichen zu können.

 

Insgesamt stellt die Beschreibung des Makrokosmos im Vayu-Purana, genauso wie die anderen, zum Teil in Aufzählung und Benennung abweichenden Purana-Darstellungen, den Versuch dar, sich überlagernde astrale Dimensionen und ihren Bewusstseinszustand allegorisch verstehbar zu machen.

 

 

5.              Der menschliche Mikrokosmos als Abbildung des Universums

 

Alle Gesetze und Prinzipien des vedischen Universums wirken durchgängig. Sie gelten nicht nur für Dimensionen oder Kollektive, sondern für alle Wesen und Phänomene im Kosmos. Der Makrokosmos erzeugt so im Mikrokosmos der Menschen sein Spiegelbild. Dies kann auf verschiedene Weisen genutzt werden. Zwei davon sollen hier exemplarisch näher erläutert werden.

 

5.1.            Dimensionen und Chakren

 

Die 14 Lokas finden ihr Spiegelbild in den Chakren im Energiesystem des Menschen. Dies gilt insbesondere für die sieben höheren Lokas, die den sieben wichtigsten Chakren entsprechen. Aber auch die sieben unteren Welten finden ihre Entsprechungen in Energiezentren unterhalb der Körpermitte.

 

Loka (Vayu-Purana)

Chakra bzw. Körperregion

Brahma

Sahasrara

Tapa

Ajna

Jana

Vishuddha

Mahar

Anahata

Svar

Manipura

Buhvar

Swadhisthana

Bhur

Muladhara

Atala

                        Hüften

Sutala

                        Oberschenkel

Vitala

                        Knie

Gabhastala

                        Wade

Mahatala

                        Knöchel

Sritala

                        Füße

Patala

                        Fußsohlen

 

Allerdings korrespondieren die Eigenschaften, die den sieben unteren Chakren zugeschrieben werden, nicht unbedingt mit den Beschreibungen der Welten in den Puranas. Sie spiegeln eher die Eigenschaften, die man den Wesen dieser Welten aufgrund der von oben nach unten zunehmenden Verdichtung von Rajas und im Verlauf vor allem Tamas.

 

Loka (Vayu-Purana)

Charakteristik

Atala

(vor allem sexuelle) Lust und Furcht

Sutala

Zorn

Vitala

Eifersucht

Gabhastala

Verwirrung

Mahatala

Egoismus

Sritala

Bewusstseinsverlust

Patala

Mord und Bosheit

 

Auch hier hängt die Zuordnung vom jeweils zugrunde gelegten Purana ab. Unabhängig davon wird jedoch die Systematik klar: Nach unten nehmen zuerst Rajas, dann Tamas zu (während sie in Richtung der höheren Lokas abnehmen und durch zunehmendes Sattva ersetzt werden).

 

Die bereits erwähnte Kompatibilität von Bewusstsein zu Lokas bekommt nun eine konkretere Bedeutung. Das durchschnittliche menschliche Wesen ist eine Mischung unterschiedlich stark ausgeprägter astraler Zustände, die es aufgrund seiner karmischen Matrix, also seiner Vasanas und Samkaras, prägen. Gemäß den Überlegungen in Kapitel 3.3. kann ein Wesen selbst neue energetische und astrale Impulse setzen. Dies lässt sich nutzen, um zum Beispiel diese niederen Chakren unterhalb der Körpermitte zu reinigen, um die Affinität des eigenen Bewusstseins zu den korrespondierenden niederen Lokas zu verringern bzw. auszulöschen.

 

5.2.            Meditation und Sankalpa:

        Die Relativität des Universums und ihre Beeinflussung

 

In Kapitel 3.6. wurde die Relativität der Zeit erörtert. Dies Eigenschaft führt zur Frage, welche Bedeutung Zeit im manifesten und vor allem im materiellen Universum der menschlichen Wesen hat, in dem es in der Regel nur unterkomplex entwickeltes Bewusstsein gibt. Hier hilft die Zeit dem Bewusstsein bei der Wahrnehmung, indem sie die Ereignisse voneinander trennt und in eine chronologische Abfolge stellt. Warum? Das wird bei der Betrachtung des anderen Extrems deutlich. In der zeitlosen göttlichen Sphäre sind Ereignisse und ihre Abfolge beliebig, gleichzeitig, da das Bewusstsein über dieselbe Unermesslichkeit verfügt wie die Komplexität der Gleichzeitigkeit aller unendlichen Möglichkeiten. Im materiellen Universum müssen wir uns mit der Chronologie behelfen. Diese Art der Relativität von Zeit bedeutet jedoch, dass wir nur einer scheinbaren Zeit ausgesetzt sind. Je nach Qualität des Bewusstseins nimmt die Rolle der Zeit und ihre Bindungskraft ab und nähert man sich der zeitlichen Beliebigkeit und zuletzt der zeitlosen Dimension an. Das Instrument dafür ist Meditation. In Abhängigkeit von der Tiefe der durch sie erreichten Versenkung (Dhyana) und des Grades an gewonnener innerer Freiheit (Samadhi) ändert sich das Erleben von Zeit und Ereignissen.

 

Nach der Relativität der Zeit und ihrer Gestaltbarkeit ist nun die Relativität des Raums und ihre Beeinflussung zu betrachten. Die Konstellation des Experiments „Schrödingers Katze“ (vgl. Kap. 2.3.) legt klar, dass der Beobachter und die Beobachtung das Beobachtete beeinflussen. Zu demselben Ergebnis kommt auch – bei Betrachtung des subatomaren Mikrokosmos – die Unschärferelation Heisenbergs: Quanten können verschiedene Zustände annehmen – aber nicht gleichzeitig. Das bedeutet, vor dem Hinschauen gibt es keinerlei Gewissheit über das Resultat, sondern lediglich Wahrscheinlichkeiten. Das ist auch einer der Leitgedanken des Yoga Vasishtha und des Tripura Rahasya. Hier geht man einen Schritt weiter und erklärt, dass die letztliche Identität von Subjekt, Objekt und Wahrnehmung dazu führt, dass ein Subjekt, das vom Standpunkt des tatsächlichen Sat aus handelt, das aus absoluter Sicht nicht wirkliche und damit veränderliche Objekt und dessen Wahrnehmung nach seinen Vorstellungen (Sankalpa) beeinflussen kann.

 

In Kap. 3.3. wurde bereits die Dynamik des Universums als Matrix (karmische Struktur) beliebig vieler Impulse (Vasanas, Samskaras) vorgestellt. Ein Impuls, der etwas bewirken will, muss klar ausgerichtet sein und bedarf der kritischen Energiemenge (Shakti), die erforderlich ist, um die gewünschte Veränderung herbeizuführen. Das ist auch im Alltag so. Will man an der Tür klopfen, reicht ein geringer Impuls. Will man die Tür aufbrechen, bedarf es eines heftigen Impulses, der sehr gezielt ausgerichtet sein muss. Dasselbe gilt für Sankalpas.

 

Eine Form des Sankalpa ist der tiefe, feste Glaube. Auch er versucht, das Wesen gezielt anders zu verorten, ihm eine andere räumliche Dimension zu eröffnen. Krishna beschreibt die Wirksamkeit des Glaubens und der aus ihm resultierende Praktiken:

„Wer den Göttern huldigt, geht zu ihnen, wer aber Mich verehrt, kommt zu mir.“

Bhagavad Gita VII. 23

„Wer den Göttern huldigt, geht zu ihnen; wer den Vorfahren huldigt, geht zu den Vorfahren; zu den über die Elemente bestimmenden Gottheiten gehen diejenigen, die ihnen huldigen; wer aber an Mich glaubt, kommt zu mir.“

Bhagavad Gita, IX., 25

 

Für Sankalpas gibt es aufgrund der Struktur des Universums jedoch noch eine Grenze. Will man mit einem Sankalpa die Struktur der relativen Wirklichkeit verändern, ist dies – wie gerade skizziert – eine Frage von Energiepotenzial (Shakti) und Ziel. Man agiert hierbei als Mitschöpfer im Rahmen des Traums Brahmas (vgl. Kap. 2.4.). Möchte man sich jedoch aus dem relativen Universum – und damit aus dem Traum des Schöpfers– befreien, also die absolute Freiheit erreichen, dann ist dafür eine Grenze zu beachten:

 

„Der Wille des Höchsten Wesens kann nicht umgangen werden. Es ist sein Wille, dass ich so sein soll, wie ich bin, und dass die anderen sein sollen, wie sie sind. … In Übereinstimmung mit der Natur jedes Wesens tritt das ins Sein, was ins Sein zu treten hat. Daher findet sich entsprechend meiner Gedankenkraft oder Konzeption dieser Baum in jedem Weltzyklus an dieser Stelle und in dieser Beschaffenheit.“

Yoga Vasishtha, Kapitel VI, Die Geschichte von Bhushunda

 

Diese Formulierung wählt die Bhushunda, um Vasishtha zu erklären, warum er einen Zustand erreicht hat, den andere, gleichartige Wesen (seine Brüder) nicht erreichen konnten. Er hingegen hatte den Segen Ishvaras dafür. Für einen solchen Sankalpa bedeutet dies, dass zuerst der Wille des Einzelwesens mit dem Willen Ishvaras identisch werden muss. Dies ist nur zu erreichen, wenn das Einzelwesen seinen Einzelwillen (das Ego, auch in seiner verfeinerten Form) aufgibt und den Willen Ishvaras an dessen Stelle setzt.

 

Der andere Weg ist es, das Absolute zu erreichen, um dann aus diesem Zustand (des Aham Brahmasmi) das reinen Sat heraus genauso agieren zu können, wie dies Brahma kann. Aber auch dieser Weg läuft auf dasselbe hinaus: Der Einzelwille, der ja aus der karmischen Matrix der Vasanas und Samskaras besteht, muss auf diesem Weg aufgegeben werden – in diesem Fall aufgelöst in der Leerheit, aus deren Fülle man danach schöpfen kann.


Schlussfolgerungen

 

In dieser Untersuchung wurde versucht, die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten des vedischen Universums herzuleiten zu beleuchten. Abschließend wird beschrieben, welche Auswirkungen sie auf den Menschen und seine Bewusstseinssituation, aber auch -entwicklung haben können, und welche Praxis sich auf welches Prinzip stützt.

 

1)    Aus nicht kommt nichts. Jede Denkweise muss subtil zwischen einem nihilistischen Begriff des Nichts und der von der Fülle nicht zu trennenden Leerheit unterscheiden (Praxis von Viveka), um nicht der sprituellen Praxis eine falsche Grundlage zu geben. (Vgl. Kap. 1.1.)

2)    Primat des Geistes. Das Geistige, Feine, Astrale dominiert und determiniert das Materielle, Grobe und Manifeste. Das Universum entsteht als Kaskade an Emanationen heraus aus der Prima Causa, dem Brahman, dem ersten Tattva. Das ist ein abgleitender Devolutionsprozess. Will man hinauf, muss man zurück. Das ist das Wesen jeglicher Religion (wie es bereits das lateinische Wort religere = zurück-binden beschreibt). Spirituelle Praxis ist daher eine Re-Emanation. Praktiken von Tantra, Theurgie, Sankalpa und Magie nutzen diese Prinzipien für Umformungen und Verwandlungen. (Vgl. Kap. 1.2. und 1.3.)

3)    Das aus dieser Emanation entstehende Universum besteht immer und überall in einem dualistischen Spannungsverhältnis des männlichen Impulses und des weiblichen Energiepotenzials. Will man in diesem Universum bestehen und vorankommen, muss man alle Shaktis annehmen und zu nutzen versuchen. (Vgl. Kap. 1.3.)

4)    Letzte Wirklichkeit (Sat) hat nur das unveränderliche und unvergängliche Absolute. Alles andere ist entstanden (Asat) und damit lediglich relative Realität. Will man darüber hinaus, muss man lernen, zwischen den Realitätsebenen zu unterscheiden (Viveka). Und man muss Sat anstreben, das Absolute. Dafür gibt es zwei Wege und Praktiken: Da auch menschliche Wesen vom Absoluten durchdrungen ist und dies damit ihre wahre Natur darstellt, kann die Verbindung zu Sat über das Erkennen und Erreichen des natürlichen Zustandes des eigenen Geistes erfolgen (Atma Vichara und Brahma Vichara). Sat durchdringt Asat. Deswegen ist auch der Weg über die Hingabe (Bhakti) des Asat (also des niederen, unnatürlichen Menschen) gegenüber dem Sat (also Gott), um durch die göttliche Gnade (Anugraha Shakti) mit der göttlichen Natur ein zu werden. (Vgl. Kap. 2.1., 2.2. und 2.5.)

5)    Phänomene sind eine Erscheinung im absoluten Bewusstsein. Auch dieses Gesetz ist Grundlage für tantrische und theurgische Praktiken, zum Beispiel Sankalpa oder Illusionskörper. Aus dem Absoluten heraus erreicht man in allen diesen Praktiken vollständige Wirksamkeit. (Vgl. Kap. 2.3. und 2.4.)

6)    Das Manifeste (Asat) ist uneindeutig und veränderbar. Dieser Umstand kann von allen genannten Verfahren zur Beeinflussung und Verwandlung des Manifesten (Tantra, Theurgie, Magie) genutzt werden. (Vgl. Kap. 3.1.)

7)    Leerheit ist das originäre Gestaltungsprinzip des Universums. Leerheit ist Freiheit. Leerheit ist Form. Leerheit ist Fülle. Wenn man die Veränderung des Manifesten (Punkt 7) nicht aus dem Absoluten heraus (Punkt 6) vornehmen kann, so muss man zumindest aus einem Zustand und Moment der Leerheit heraus agieren. Möchte man aus der karmischen Polarität, die aus der Leerheit entstanden ist, ganz hinaus, so muss man sich Gott hingeben (Bhakti), um so sehr eins mit seinem Willen zu werden, dass man seine Lila der Selbsterfahrung als eigenes Lila eigener Selbsterfahrung mitspielen und sehen kann. (Vgl. Kap. 3.2.)

8)    Actio = Reactio. Das Universum vergisst nicht. Aus den geschehenen Impulsen als Ursache entstehen neue Impulse als Wirkung. Karma, Vasana und Samskara bilden eine komplexe astrale Matrix um jedes bewusste Wesen, mit der man in seiner Praxis gezielt arbeiten muss, um diese Komplexität zu begreifen, zu dämpfen oder letztlich zu annullieren. Für das Dämpfen sind zwei Praktiken denkbar: Die Erzeugung von Gegengiften zur Schaffung der Interferenzen und die Ignoranz der mit den Vasanas und Samskaras verbundenen Themen zur Schwächung der Energie dieser karmaerzeugenden Impulse. Eine Auslöschung ist nur vom Standpunkt des Absoluten in die relative Wirklichkeit hinein möglich. Dies entspricht der Praxis des Aham Brahmasmi. Auch die Astrologie lässt sich auf dieses Prinzip zurückführen; sie versucht, die anfängliche astrale Matrix um ein Wesen herum zu beschreiben. (Vgl. Kap. 3.3.)

9)    Nur Ishvara kann die kosmische Entropie erfolgreich bekämpfen. Wesen, die innerhalb des der Entropie unterworfenen Systems sind, schaffen dies nur eingeschränkt und temporär, können sich aber der Entropie nicht alleine dauerhaft entgegenstellen. Dies führt zur Notwendigkeit der Verehrung Ishvaras (Upassana), denn nur er kann die Entropie wieder in Ordnung umwandeln, oder aber Wesen, die von ihm aufgrund ihrer Verehrung dazu die erforderliche Energie (Shakti) bekommen haben. (Vgl. Kap. 3.4.)

10)              Das Universum ist zyklisch organisiert. Die Dynamik der Gunas macht den Prozess von Entstehen, Bestehen und Vergehen zu einer Zwangsläufigkeit. Dagegen anzukämpfen ist strukturell sinnlos, die Entropie gewinnt im Raum des Asat immer. Letztlich wird spirituelle Praxis nur dann erfolgreich sein, wenn sie dieses nicht immer erfreuliche Gesetz und seine Konsequenzen akzeptiert. (Vgl. Kap. 3.5.)

11)              Die Zeit im Universum ist relativ in ihrem Verlauf und in der Menge an Ereignissen, die sie bereithält. Diese Relativität steht in klarem Zusammenhang von der Weite des Bewusstseins. Damit unterliegt eine solcherart relative Zeit jedoch für die eigene Wahrnehmung dem in der meditativen Praxis erarbeiteten Bewusstseinszustand (Dhyana) und Bewusstseinsfreiheit (Samadhi). (Vgl. Kap. 3.6. und Kap. 5.2.)

12)              Der Makrokosmos ist als sich überlagernde multidimensionale Bewusstseinsebenen strukturiert. Die Kompatibilität eines Wesens zu einem Loka hängt zum einen von der Weite seines Bewusstseins ab, aber zum anderen auch von seiner Bewusstseinsausrichtung: auf das Ego oder auf Gott. Darauf basieren die Praktiken der vier Unermesslichen und des Guru-Yogas. Sie weiten das Bewusstsein und richtet es aus. (Vgl. Kap. 3.7.) Der Makrokosmos der Lokas findet seine Abbildung außerdem im menschlichen Mikrokosmos der Chakren. Damit ist die Multidimensionalität des Kosmos in jedem Wesen immanent, jedes Wesen ist also in sich selbst multidimensional. Dies führt zur Shakti-Yantra-Praxis auf Grundlage der Chakren. (Vgl. Kap. 5.1.)

 


Literaturverzeichnis

Bücher

Bhagadvad Gita, übersetzt von Swami Sivananda, Divine Life Trust Society, Rishikesh, 1995, Deutsche Ausgabe Sivananda Yoga Vedanta Zentrum, München & Mangalam Books, Lautersheim, 2003

Brahmasutra, übersetzt und kommentiert von Raphael, Asram Vidya, Rom, 2005, Deutsche Ausgabe, Kamphausen Verlag, Bielefeld, 2008

Descartes, René, „Principia Philosophiae“, Louis Elsevier, Amsterdam, 1644

Hillebrandt, Alfred, „Upanishaden“, 13. Auflage, Eugen Diederichs, München 1977

Ramana Maharshi, „Sei, was du bist!“, herausgegeben und kommentiert von Godman, David, Ramanasramam, Tiruvannamalai, 1985, Deutsche Ausgabe O.W. Barth Verlag, München, 1985

Rigveda, übersetzt von Geldner, Karl Friedrich, Harvard Oriental Series, 33-36, Bd.1-3, Cambridge, USA, 1951

Schopenhauer, Arthur, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Brockhaus, Leipzig, 1819

Tripura Rahasya, übersetzt von Ramananda Saraswati, Ramanasramam, Tiruvannamalai, 1971, Deutsche Ausgabe Ansata-Verlag, Interlaken, 1986

Yoga Vasishtha, übersetzt von Swami Venkatesananda, State University of New York Press, 1993, Deutsche Ausgabe Yoga Vidya Verlag, Horn-Bad Meinberg, 2013

Internetquellen

Buch Exodus, Deutsche Einheitsübersetzung 2016, die-bibel.de

Prajñāpāramitā Hṛdayasūtra, übersetzt von Color, Johannes, de.wikisource.org/ wiki/Herz-Sutra

Shiva-Purana, übersetzt von Welsch, Udine und Grünwald, Jens, pushpak.de

Vaju-Purana, übersetzt von Welsch, Udine und Grünwald, Jens, pushpak.de

wiki.yoga-vidya.de 


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